Kolumne der Woche: Mauergedenken am authentischen Ort

Oberbürgermeister Jann Jakobs
© Oberbürgermeister Jann Jakobs
Oberbürgermeister Jann Jakobs

7. August 2016

Liebe Potsdamerinnen und Potsdamer,

am kommenden Wochenende jährt sich zum 55. Mal der Tag des Mauerbaus. Diese Mauer war nicht irgendwo, sie war hier bei uns. Allein 110 Kilometer der 160 Kilometer langen Grenzanlage lagen im damaligen Bezirk Potsdam. Und es war keine gewöhnliche Mauer, sondern eine Gefängnismauer, die Familien, Freunde und Bekannte getrennt hat. Auch heute wollen viele wieder Mauern bauen, nicht um Menschen vom Fliehen abzuhalten, sondern um sie nicht zu uns kommen zu lassen. Ich denke, Mauern waren damals keine Lösung und sie sind es auch heute nicht.
 
Um an den Tag des Mauerbaus in Deutschland und die deutsche Teilung zu erinnern, finden auch in diesem Jahr Veranstaltungen in Potsdam statt. Dabei soll der Opfer gedacht werden, die ihr Leben an den Grenzanlagen verloren. Gleichzeitig steht am Jahrestag des Mauerbaus auch das Glück über die Wiedergewinnung von Freiheit im Jahr 1989 im Mittelpunkt.

Zu den fest etablierten Gedenkveranstaltungen in Potsdam zählt der „Mauerverlauf“, den die Landeshauptstadt Potsdam gemeinsam mit der Fördergemeinschaft Lindenstraße 54 organisiert. Er führt regelmäßig zu authentischen Zeugnissen des ehemaligen Grenzverlaufs, begleitet von Erklärungen von Zeitzeugen und Historikern. In diesem Jahr wird der „Mauerverlauf“ per Schiff nach Sacrow bis zur Heilandskirche führen. Was für Nachgeborene heute unvorstellbar scheint, war noch vor 30 Jahren bittere Realität: Das heutige UNESCO-Weltkulturerbe des Landschaftsparks entlang der Havel war im Kalten Krieg der Todesstreifen zwischen den Systemen. An den damaligen Grenzanlagen verloren viele, vor allem junge Menschen, bei Fluchtversuchen ihr Leben. In Sacrow soll an sie erinnert werden, ebenso wie an das Schicksal der Persiuskirche, die in den Jahren nach 1961 Verfall und Verwüstung preisgegeben war. Im Schloss Sacrow stellt derzeit die Ausstellung „Gärtner führen keine Kriege“ des Vereins Ars Sacrow e.V. die Erlebnisse der Gärtner während der Zeit der Zerstörung des landschaftlichen Areals in den Mittelpunkt und zeichnet den Heilungsprozess nach 1989 der von Peter Joseph Lenné geschaffenen Parkanlagen nach.

Der Auftakt des diesjährigen Mauerverlaufs findet um 14 Uhr an der Nike, direkt an der Glienicker Brücke statt. Dazu sind Sie, liebe Potsdamerinnen und Potsdamer, aber auch unsere Nachbarn aus Berlin, herzlich eingeladen. Unter anderem wird dort Uta Gerlant Worte des Gedenkens an das Publikum richten. Wie der „Mauerverlauf“ vermittelt die von ihr geleitete Gedenkstätte Lindenstraße bis heute sehr eindrücklich die besondere topografische Lage Potsdams als Stadt an der deutschen-deutschen Grenze. Im „Lindenhotel“, wie das ehemalige Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit in der Lindenstraße im Volksmund genannt wurde, saßen Menschen ein, die aus der Diktatur ausbrechen wollten und sich gegen das System von Unfreiheit und Bevormundung stellten. Ich bin sehr froh, dass es uns in diesem Jahr gelungen ist, gemeinsam mit dem Land Brandenburg eine Stiftung auf den Weg zu bringen, die sich diesem Erbe stellt. Wie viele andere Potsdamer erhoffe ich mir, dass das ehemalige Gefängnis künftig noch mehr Besucher anzieht, und zu einem Ort wird, an dem sich die ehemaligen Häftlinge willkommen fühlen. So kann dieses Haus noch stärker zum Ort der Begegnung und des Austauschs werden. In der Gedenkstätte Lindenstraße selbst wird es am 13. August wieder kostenlose öffentliche Führungen um 11, 14 und 16 Uhr geben. Auch diese kann ich nur empfehlen, denn sie geben einen konkreten Einblick in die Unterdrückungsmechanismen am authentischen Ort und vermitteln gerade auch jüngeren Generationen etwas von dem Schrecken der damaligen Zeit.  

Und das ist wichtig, denn es gilt auch heute und in Zukunft: Wo immer Freiheit beschnitten und Menschen ihrer Rechte beraubt werden, da müssen wir dagegenhalten. Wo immer Regierungen glauben, ihre Bürgerinnen und Bürger unterdrücken zu können, da müssen wir Widerstand leisten. Und wo auch immer Menschen, die zusammengehören, aus politischen Gründen voneinander getrennt werden, da dürfen wir nicht schweigen.


Ihr

Jann Jakobs