Geschichten über Potsdamer Olympioniken: "Pat und Patachon" öffnen neue Türen

Potsdamer Olympioniken, Folge 10

Text: Horst Sperfeld

Geschichten über Potsdamer Olympioniken: "Pat und Patachon" öffnen neue Türen

Potsdamer Olympioniken, Teil 10

Seoul 1988

Es war schon verblüffend zu erleben, welche Blüten die in den olympischen Sport verpackte System-Auseinandersetzung trieb. Im Falle von Seoul 1988 durfte man die Sturheit in politischen Führungsebenen vor allem des Ostens wohl nur noch lächelnd hinnehmen. Es musste unbedingt immer noch eins drauf gepackt werden auf die zu demonstrierenden Unterschiede zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Im Falle von Olympia im von einer Militär-Junta regierten kapitalistischen Südteil des halbierten Koreas nutzte man sogar den Namen der Ausrichterstadt dafür. In der DDR schrieb die Einheitspresse den Namen der Olympiastadt zunächst als Seoul, machte dann - nach Anweisung "von oben" - Soul daraus. Ob das der kleine kommunistische Bruder Nordkorea, für den trotz der seit 1945 andauernden Landesteilung die unerreichbar im Süden gelegene Metropole bis 1972 laut Verfassung ebenso als Hauptstadt galt, den Namen ohne "e" vorgegeben hatte? Wir wissen es nicht. Es gab keine wirklich plausible Veranlassung, das "e" wegzulassen. Sogar die Gastgeber selbst europäisierten ihren Hauptstadt-Namen auf den offiziellen Plakaten als Seoul, also mit dem kleinen "e". Dennoch, die Besserwisser in den Polit-Büros der Einheitspartei-Staaten grenzten sich mal wieder mit erdachten Regeln ab und schrieben ihren Medien das Soul - also ohne das winzige "e" - vor. Lange gingen diese und andere Kapriolen sozialistischer Führer bekanntlich nicht mehr gut.  

Sei's drum. So lange es bei solcher Art Reibereien blieb, war das zu ertragen. Immerhin hatte sich die Boykottierung des Weltfestes des Sports als politisch wirkungslose Maßnahme erwiesen und war mehr oder weniger vergessen. Die Teilnehmerzahl wuchs auf 159 Nationen mit knapp 8500 Sportlern. Olympia stieß in seiner Größenordnung langsam an seine Grenzen, zumal bis dahin die Anzahl der Sportarten beziehungsweise Disziplinen ständig angestiegen und erfreulicher Weise die Frauen-Quote von Null Prozent 1896 auf rund 30 Prozent 1988 geklettert war. Die Spiele blieben nun auch offiziell nicht mehr nur Amateuren vorbehalten, was sich vor allem durch die Rückkehr des Tennisspiels dokumentierte. Davon profitierte übrigens seinerzeit die Bundesrepublik Deutschland, in dessen Tennisszene gerade die Erfolgsserien von Steffi Graf und Boris Becker im Gange waren. Graf, damals die unangefochtene Nummer eins der Welt, gewann schließlich auch das Premieren-Turnier.

Im Sport zeigte sich, dass die vermeintlich fast ausgereizten Leistungsgrenzen noch längst nicht erreicht waren. Allerdings schien die ständige Verbesserung von Rekorden unmittelbar mit unerlaubten Mittelchen, also mit Doping, verknüpft zu sein. So trübte sich der Glanz der Spiele, der nicht zuletzt vom Ohrwurm "One Moment in time" (gesungen von Whitney Housten) abstrahlte, urplötzlich ein. Ausgerechnet Ben Johnson, der populärste Athlet der Spiele, wurde des Dopings überführt. Der dunkelhäutige Muskelprotz aus Kanada hatte den Superstar der Leichtathleten, den US-Amerikaner Carl Lewis im "100-Meter-Finale des Jahrhunderts" in Weltrekordzeit von 9,79 Sekunden besiegt. Zwei Tage später war er der Einnahme eines Doping-Mittels überführt und aus der olympischen Familie verbannt. Johnson, auch in früheren Fällen bereits aufgefallen, stand als Sündenbock allein im Regen, doch hätten wohl auf allen Seiten noch einige Ergebnisse genauer hinterfragt werden müssen. Dazu gehören neben den noch heute als Frauen-Weltrekorde zählenden 10,54 Sekunden über 100 Meter und 21,34 Sekunden über 200 Meter der durch ihre überlangen, bunten Fingernägel auffallenden Florence Griffith-Joyner. "Flo-Jo", wie die außergewöhnliche Sprinterin genannt wurde, konnte man Doping allerdings nie nachweisen. Sie verstarb schon zehn Jahre nach ihren großen Triumphen. Ursache für den frühen Tod war laut Autopsie eine angeborene Gehirn-Anomalie, die nichts mit Doping zu tun hatte.

Die DDR und die Bundesrepublik Deutschland schickten letztmalig zwei getrennte Mannschaften ins Geschehen. Als außergewöhnliche Starterin schrieb sich die Hallenserin Christin Otto mit gleich sechs Siegen in die später umstrittene Siegerstatistik ein. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen aus der DDR-Schwimmerauswahl brachten es wieder auf elf Goldmedaillen. 37 Titel, 35 Silber- und 30 Bronze-Ränge gab es insgesamt für das 261 Köpfe zählende ostdeutsche Team, das damit Platz zwei in der prestigeträchtigen, aber auch belächelten Nationenwertung behauptete, Erneut hatte die mit hohen Vorschusslorbeeren bedachte USA-Auswahl das Nachsehen.

Aus den Leistungszentren Potsdams reisten 38 Athleten nach Seoul. Noch immer mit von der Partie war die mittlerweile 33-jährige Galionsfigur Udo Beyer, die im Kugelstoßen Platz vier mit immer noch bestaunenswerten 21,40 Metern belegte. Auf dem Siegerpodest stand in Beyers Wettbewerb sein Berliner Nachfolger Ulf Timmermann (22,47 Meter). Leichtathletik-Medaillen für Potsdam eroberten der außergewöhnliche Geher Ronald Weigel mit jeweils Silber über 20 und 50 Kilometer sowie 1500-Meter-Spezialist Jens-Peter Herold mit Bronze. Zu Sieger-Ehren im weiten Rund des Olympiastadions kam der Schweriner Diskus-Weltrekordler Jürgen Schult, der erst nach seiner aktiven Sportler-Laufbahn als Trainer seine Wahlheimat in Potsdam fand.

Goldmedaillen für den Armeesportklub vom Luftschiffhafen steuerten natürlich wieder die Kanuten bei. Allen voran erneut Birgit Fischer, die unter ihrem damaligen Namen Schmidt die Schlagzahlen im Zweier- und Vierer-Kajak vorgab. Als Solistin musste sie sich seinerzeit aber überraschend der Bulgarin Wanja Geschewa geschlagen geben und mit Silber vorlieb nehmen. Fischers männliche Kollegen Kay Bluhm und Hans-Jörg Bliesener schafften es im Vierer zu Bronze. Birgit Schmidts Ehepartner Jörg Schmidt, aus Berlin nach Potsdam gewechselt, wurde Zweiter im Einer-Canadier ebenso wie sein Trainingspartner Ingo Spelly im Zweier.

Auch die Dynamo-Ruderer aus dem Seekrug trumpften wieder groß auf. Bei den Männern beschaffte sich der gesteuerte Vierer aus Potsdam mit Frank Klawonn, Bernd Eichwurzel, Bernd Niesecke, Karsten Schmeling und dem anfeuernden Hendrik Reiher an den Seilzügen goldenen Glanz. Der Zweier mit Steuermann fuhr zu Silber. Birgit Peter und Martina Schröter glitten im Doppelzweier als Erste ins Ziel. Beate Schramm gehörte zum Siegerquartett im Doppelvierer. Daniela Neunast steuerte den Gold-Achter unter anderen mit Ute Wild.

Einzel-Olympiasieger im Kanu, Rudern oder der Leichtathletik waren für Potsdam bereits Normalität geworden. In Seoul stießen nun zwei kräftige junge Burschen diese Tür auch in anderen Sportarten auf. Der eine, nur knapp 1,60 Meter groß, dafür aber ein außergewöhnliches Kraftpaket, rückte mit seinem Sieg an den Ringen und Platz drei am Reck die großartige Turnschule aus dem Luftschiffhafen in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Sein Name: Holger Behrendt. Der andere, mit fast zwei Metern Höhe das körperliche Gegenteil, kraulte im Schwimmbassin als Freistilspezialist über 400 Meter zu Gold und über 1500 Meter zu Bronze. Er heißt Uwe Daßler.

Potsdamer Olympiastarter von 1988 in Seoul:

Leichtathletik:

  • Jens-Peter Herold - 1500 Meter: Bronze
  • Andrea Hahmann - 1500 Meter: Platz 6
  • Frank Möller - 4mal 400 Meter: Platz 4
  • Ronald Weigel - 20 Kilometer Gehen: Silber; 50 Kiloometer Gehen: Silber
  • Udo Beyer - Kugelstoßen: Platz 4
  • Diana Gansky - Diskuswerfen: Silber
  • Gabriele Reinsch - Diskuswerfen: Platz 7
  • Uwe Freimuth - Zehnkampf: Platz 18

(Mit der gebürtigen Neubrandenburgerin Cornelia Oschkenat kam über 100 Meter Hürden eine Sportlerin auf Platz 8, die durch ihre sportlichen Anfänge bei der SG Dynamo im Ernst-Thälmann-Stadion eine Verbindung zu Potsdam hatte.)

Kanurennsport:

  • Birgit Schmidt - Einer-Kajak: Silber; Zweier-Kajak: Gold; Vierer-Kajak: Gold
  • Kay Bluhm - Zweier-Kajak, 500 Meter: Platz 7; Vierer-Kajak, 1000 Meter: Bronze
  • Hans-Jörg Bliesener - Vierer-Kajak, 1000 Meter: Bronze
  • Jörg Schmidt - Einer-Canadier, 1000 Meter: Silber
  • Ingo Spelly - Zweier-Canadier, 1000 Meter: Silber
  • Ulrich Papke - nicht eingesetzt

Rudern:

  • Mario Streit - Zweier mit: Silber
  • Detlef Kirchhoff - Zweier mit: Silber
  • René Rensch - Zweier mit: Silber (Steuermann)
  • Jens Köppen - Doppelvierer: Bronze
  • Frank Klawonn - Vierer mit: Gold
  • Bernd Eichwurzel - Vierer mit: Gold
  • Bernd Niesecke - Vierer mit: Gold
  • Karsten Schmeling - Vierer mit: Gold
  • Hendrik Reiher - Vierer mit: Gold (Steuermann)
  • Birgit Peter - Doppelzweier: Gold
  • Martina Schröter - Doppelzweier: Gold
  • Kerstin Spittler - Zweier ohne: Platz 4
  • Beate Schramm - Doppelvierer: Gold
  • Ute Wild - Achter: Gold
  • Daniela Neunast - Achter: Gold (Steuerfrau)
  • Kerstin Köppen - nicht eingesetzt

Schwimmen:

  • Uwe Daßler - 400 Meter Freistil: Gold; 1500 Meter Freistil: Bronze
  • Jörg Hoffmann - 400 Meter Freistil: Platz 9; 1500 Meter Freistil: Startverzicht für das Finale trotz sechstbester Vorlaufzeit
  • Patrick Kühl - 200 Meter Lagen: Silber; 400 Meter Lagen: Platz fünf
  • Susanne Börnicke - 200 Meter Brust: Platz 9

Turnen:

  • Holger Behrendt - Mannschaft: Silber; Einzel-Mehrkampf: Vorkampf; Einzel, Ringe: Gold; Einzel, Reck: Bronze; Einzel, Pferdsprung: Platz 5
  • Ralf Büchner - Mannschaft: Silber; Einzel-Mehrkampf: Platz 18

Fechten:

  • Jens Howe - Florett, Mannschaft: Platz 4; Florett, Einzel: Platz 7
  • Torsten Kühnemund - Degen, Einzel: Platz 5

Weitere Teilnehmer mit einem Bezug zu Potsdam:

Schwimmen:

  • Jens-Peter Berndt - 100 Meter Rücken: Platz 17; 200 Meter Rücken: Platz 6; 200 Meter Lagen: Platz 15; 400 Meter Lagen: Platz 6 (Jens-Peter Berndt wurde in Potsdam geboren und wuchs hier zum Weltklasseschwimmer heran, ehe er im Januar 2005 auf einer Sportreise in den Westen flüchtete)  

Rudern:

  • Ralf Brudel - Vierer ohne Steuermann: Gold (Ralf Brudel wurde in Potsdam geboren, ruderte in diesem Falle für den SC Berlin Grünau)

Radsport:

  • Carsten Wolf - 4000 Meter Mannschaftsverfolgung: Silber (Carsten Wolf wurde in Potsdam geboren und begann bei der SG Dynamo Potsdam mit dem Radsport, in Seoul fuhr er für den SC Dynamo Berlin)

Segeln:

  • Thomas Flach - Soling-Klasse: Gold (Thomas Flach ist gebürtiger Potsdamer, begann bei der BSG DEFA unter Übungsleiter Günter Kabelitz mit dem Segeln und saß in Seoul als Vorschoter im Boot von Skipper Jochen Schümann aus Berlin, dem America's Cup-Sieger von 2003)

Quelle: Volker Kluge, "Olympische Sommerspiele, Die Chronik", Sportverlag Berlin, "Märkische Volksstimme"