Gedenken an die Reichspogromnacht vor 81 Jahren

Mit einer Gedenkveranstaltung haben heute die Landeshauptstadt Potsdam, die jüdischen Gemeinden in Potsdam, die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Potsdam sowie die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit an die Reichspogromnacht vor 81 Jahren erinnert. Neben Oberbürgermeister Mike Schubert sprachen die Ministerin des Landes Brandenburg für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Dr. Martina Münch, und der Vorsitzende der Synagogengemeinde, Ud Joffe. Durch die Veranstaltung führten der Landesrabbiner Nachum Pressmann, Evgeni Kutikov von der jüdischen Gemeinde und Stadtkirchenpfarrer Dr. Simon Kuntze. Es nahmen auch der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung, Pete Heuer, und die Beigeordneten der Landeshauptstadt Potsdam an der Gedenkstunde teil, die am Platz der Einheit am Standort der ehemaligen Synagoge begann und am Baufeld der neuen Synagoge in der Schlossstraße fortgesetzt wurde.

Im Folgenden finden Sie die Rede des Oberbürgermeisters Mike Schubert: 

+++ Es gilt das gesprochene Wort +++ 

Sehr geehrter Herr Rabbiner Presman,
sehr geehrter Herr Kutikov,
sehr geehrter Herr Joffe,
sehr geehrter Herr Dr. Kuntze,
sehr geehrte Frau Dr. Münch,
meine Damen und Herren,

der 9. November gehört zu den Schlüsseldaten deutscher Geschichte. In diesem Datum sind Freude und Leid eingeschlossen. 1989 fiel am 9. November die Mauer und die Menschen von Ost und West lagen sich in einem Freudentaumel in den Armen. In diesem Jahr gedenken wir im Besonderen an dieses Ereignis. Gleichzeitig gehört der 9. November zu den dunkelsten Kapiteln deutscher Geschichte. 

Heute erinnern wir an die Reichspogromnacht vor 81 Jahren, als in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 im gesamten damaligen Deutschen Reich Synagogen und jüdische Gebetshäuser geschändet, zerstört und in Brand gesteckt wurden. 400 Synagogen gingen im ganzen Land in Flammen auf oder wurden schwer beschädigt. Jüdische Grabmäler verwüstet. Tausende jüdische Geschäfte zerstört, Schaufenster eingeschlagen.

Ab dem 10. November trieben die Nationalsozialisten landesweit annähernd 30.000 Menschen jüdischer Herkunft in Gefängnisse und Konzentrationslager. Die Verfolgung der jüdischen Mitbürger hatte einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Mit den Novemberpogromen war der Weg in den Holocaust vorgezeichnet. Den Gewaltexzessen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 war eine systematische Ausgrenzung und Entrechtung der jüdischen Bevölkerung vorausgegangen. 

Der Judenhass wurde mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 offen geschürt. Gesetze schrieben die Entrechtung und Verdrängung der jüdischen Bürger aus der Gesellschaft fest. Unverhohlen wurden die Menschen stigmatisiert und offen angegriffen. Auch hier in Potsdam. Auch in der Stadt des Toleranzedikts.

Und um es noch deutlicher zu sagen: Auch in Potsdam feindeten Potsdamer ihre jüdischen Mitbürger offen an. Auch Potsdamer unterstützten die Pogrome und tolerierten die Schändung der Synagoge. Auch Potsdamer profitierten von der Ausgrenzung der Juden aus allen Gesellschafts- und Lebensbereichen. 

Denn: Als der Jurist, der Arzt, der Beamte mit jüdischer Herkunft ab 1933 per Gesetz seine Berufszulassung verlor, rückte ein nichtjüdischer Jurist, Arzt und Beamter auf die Stelle. Und wenn die jüdische Familie in die Ghettos und Konzentrationslager deportiert wurde - dann wurde eine Wohnung frei. Und es gab Potsdamer, die drängten darauf, dass die Wohnung endlich frei würde und drängten darauf, dass die jüdischen Menschen endlich abgeschoben, das heißt deportiert, würden.

Potsdam war eben nicht anders als andere deutsche Städte. Potsdam war zu dieser Zeit kein Hort des Widerstands, sondern im Gegenteil der „Geist von Potsdam“ stand zwischen 1918 und 1933 in der jungen Republik für das Gegenmodell der Ideen der Weimarer Republik und mündete in den Tag von Potsdam, an dem tausende Potsdamerinnen und Potsdamer der Machtergreifung der Nationalsozialisten zujubelten und der somit in direkter Linie in den barbarischen Völkermord des zweiten Weltkrieges, in die deutsche Teilung und in den Mauerbau führte.

Meine Damen und Herren, an diesem Tag möchten wir in erster Hinsicht den Opfern des Nationalsozialismus gedenken. Unsere Gedanken sind bei allen Männern, Frauen und Kindern, die verfolgt, diskriminiert, weggesperrt und ermordet wurden.

Heute nun stehen wir am Baufeld für die neue Synagoge. Der Weg zu diesem neuen Haus der Versammlung, Begegnung, des Studiums und des Gebetes ist gewiss kein leichter. Aber er lohnt und ist notwendig. Denn die jüdischen Gemeinden in unserer Stadt brauchen eine Begegnungsstätte nicht irgendwo, sondern mitten unter uns. Die neue Synagoge wird das jüdische Leben wieder für uns alle sichtbarer machen. 

Gleichzeitig gilt es, dass die Räume für unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger sicher sein müssen. Wir denken an diesem Tag natürlich wieder an den furchtbaren Anschlag auf die Synagoge in Halle und das willkürliche Töten Unschuldiger. Das war am 9. Oktober nur vordergründig die Einzeltat eines Rechtsextremisten. In Wirklichkeit ist die perfide Tat Teil eines wieder wuchernden Antisemitismus und Rechtsextremismus. 

Antisemitische Stereotype in der Öffentlichkeit zu gebrauchen ist geradezu salonfähig geworden. Rechtspopulisten spielen mit Vorurteilen und Halbwahrheiten und dreisten Lügen und überlassen es Zuhörerinnen und Zuhörern, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. Das können und dürfen wir so nicht hinnehmen. Aus dem 9. November ergibt sich für uns der Auftrag, dass wir uns den Angriffen auf unsere offene, freiheitliche und tolerante Gesellschaft entschlossen entgegenstellen. 

Das heutige Gedenken verbinden wir mit dem Versprechen, wachsam zu bleiben und einzuschreiten, wenn Grenzen des Rechtsstaats überschritten werden und Hass gesät wird. Lassen Sie uns klar und deutlich Position beziehen gegen Hass und Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung. 

Lassen Sie uns auch dort klare Positionen beziehen, wo Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus den Weg der demokratischen Legitimation suchen. Vergessen wir nicht, auch die sogenannte Machtergreifung der NSDAP war kein Staatsstreich, sondern demokratisch durch Wahlen herbeigeführt. Das führte aber nicht dazu, dass diese Positionen aus humanitärer Sicht legitim waren, sondern in die größte menschliche Tragödie des 20. Jahrhunderts.

Rechtspopulismus führte Deutschland schon einmal in den Abgrund. Ein zweites Mal darf dies nicht geschehen. Die Erinnerung verpflichtet uns, nicht wegzuschauen, wenn rechtes Gedankengut gesät und Geschichte geleugnet wird. Das sind wir den Opfern schuldig.

Vielen Dank!