8. Potsdamer Nachwuchswissenschaftler-Preis an Dr. des. Barbara Steiner

Oberbürgermeister Jann Jakobs hat beim diesjährigen Einsteintag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Dr. des. Barbara Steiner mit dem Potsdamer Nachwuchswissenschaftler-Preis ausgezeichnet. Sie erhielt den mit 5.000 Euro dotierten Preis für ihre herausragenden Leistungen auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaften.

Ausgezeichnet wurde Frau Steiner für ihre Dissertation zum Thema „Konversion nichtjüdischer Deutscher zum Judentum in Deutschland nach 1945 – Motive, biographische Konstruktionen und Konfliktfelder“, die sie im Juli 2014 an der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam mit „magna cum laude“ abgeschlossen hat. Die Arbeit untersucht, aus welchen Gründen deutsche Frauen und Männer nach 1945 zum Judentum konvertieren wollten, wie Rabbiner und jüdische Gemeinden darauf reagierten und welche spezifischen Reaktionen, Interaktionen und Übertrittsverläufe sich daraus ergaben.

„Die Auszeichnung meiner Arbeit mit dem Potsdamer Nachwuchswissenschaftlerpreis erfüllt mich mit Stolz. Der Preis bedeutet für mich einen enormen Ansporn für meine weitere wissenschaftliche Arbeit. Dankbar bin ich in erster Linie meinen Interviewpartnern. Ohne die Bereitschaft der befragten Konvertiten, intime Einblicke in ihr privates Leben einer unbekannten Zuhörerin zu gewähren, wäre diese Studie nicht entstanden. Auch bei den befragten Rabbinern, die mir ihre Konversionspraxis erläuterten und die bereit waren, auch heikle Aspekte im Zusammenhang mit dem Übertritt zum Judentum zu thematisieren, bedanke ich mich herzlich“, so Barbara Steiner.

Geboren wurde Barbara Steiner am 3. Januar 1977 in München. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Kleinmachnow. Barbara Steiner studierte zunächst Jüdische Studien an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg und der Philosophie an der Universität Heidelberg bis zur Zwischenprüfung in Jüdischen Studien und dem Hebraicum. Anschließend absolvierte sie ein Studium der Jüdischen Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem/Israel. Der Studienaufenthalt wurde durch ein DAAD-Stipendium gefördert. Nach ihrer Rückkehr aus Israel nahm sie ihr Studium der Jüdischen Studien, Philosophie und Neueren Geschichte an der Universität Potsdam auf, das sie mit dem Magister Artium abschloss. Es folgte eine knapp einjährige Tätigkeit als Lehrerin am Jüdischen Gymnasium Moses Mendelssohn Berlin. Von 2008 bis 2014 arbeitete Frau Dr. des. Steiner an ihrer Promotion, diese Tätigkeit unterbrach sie für eine zweijährige Elternzeit. Momentan befasst sie sich mit der Ausarbeitung eines Postdoc-Projektes.

Für den Potsdamer Nachwuchswissenschaftler-Preis nominiert wurde Frau Dr. des. Steiner vom Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums, Herrn Prof. Dr. Julius H. Schoeps, der die Promotion an der Universität Potsdam betreut hat. „Die Erforschung von Übertritten zum Judentum in Deutschland steht noch ganz am Anfang, und hier hat Barbara Steiner mit ihrer Arbeit etwas Bahnbrechendes geleistet. Wir haben hier einen sehr spannenden Forschungsgegenstand, aber der ist eben oft auch sehr emotional besetzt, und die Diskussionen gleiten schnell ins Irrationale ab. Das Thema sagt vieles über die heutigen Beziehungen von Juden und Nichtjuden aus. Analytische Studien wie die vorliegende von Frau Steiner helfen, am Ende beide Seiten tiefgründiger zu verstehen“, so Prof. Dr. Schoeps.

Zum diesjährigen Potsdamer Nachwuchswissenschaftler-Preis wurden acht Arbeiten eingereicht, die von einer Jury unter Vorsitz von Oberbürgermeister Jann Jakobs gesichtet und bewertet worden sind. Der Jury gehörten Prof. Dr. Rolf Emmermann, ehem. Deutsches Helmholtz Zentrum GFZ, Prof. Dr. Heinz Kleger von der Universität Potsdam, Prof. Dr. Ralf Engbert von der Universität Potsdam, Prof. Dr. Reinhard Lipowsky vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, Prof. Dr. Bernd Müller-Röber von der Universität Potsdam und Prof. Dr. Susan Neiman vom Einsteinforum an. Herr Prof. Dr. Kleger begründet die Juryentscheidung: "Es handelt sich um eine mutige, innovative und genaue Arbeit zu einem  heiklen Thema, nicht nur in Deutschland nach 1945, sondern auch  innerjüdisch. Beeindruckend ist insbesondere die Methode und das reiche Quellenmaterial der Rekonstruktion, darunter die Akten der  deutschen Rabbinerkonferenz."

Auch Oberbürgermeister Jann Jakobs zeigt sich beeindruckt: „Ich finde es immer wieder interessant zu erfahren, an welchen relevanten und durchaus spannenden Themen Nachwuchswissenschaftler in Potsdam arbeiten. Der Potsdamer Nachwuchswissenschaftler-Preis ist bestens geeignet, die Arbeit des wissenschaftlichen Nachwuchses bekannt zu machen. Ich wünsche Frau Steiner sehr, dass sie ihre wissenschaftliche Arbeit weiter führen kann.“

 

Hintergrundinformationen:

Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein traten geborene Juden nicht selten zum Christentum über, umso eher gesellschaftlich anerkannt zu werden. Die Konversion zum Judentum blieb in Deutschland in dieser Zeit bedeutungslos. Erst das Ende des Dritten Reiches und damit der Massenvernichtung der Juden scheint das Interesse nichtjüdischer Deutscher am Judentum erhöht zu haben. Bereits in den ersten Nachkriegsjahren wurden die jüdischen Gemeinden mit Anträgen auf Aufnahme von nichtjüdischen Deutschen derartig überrannt, dass sich die Gemeinden der Konversion nichtjüdischer Deutsche - mitunter selbst aus politisch belasteten Familien - nicht entziehen konnten. Wie viele Deutsche durch Konversion nach 1945 ins Judentum aufgenommen wurden, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Ihre Zahl dürfte aber erheblich sein. Heute gilt es als hip, Jude zu sein, und es konvertieren schätzungsweise 200 Deutsche jährlich zum Judentum, wobei bei weitem nicht alle Interessenten von den Rabbinern angenommen werden. Schließlich ist im Judentum die Aufnahme vergleichsweise streng reglementiert.

Die Dissertation von Barbara Steiner widmet sich diesem Phänomen der religiösen Konversion zum Judentum nach 1945 aus der Perspektive der Konvertiten und der Aufnehmenden, den Rabbinern und Gemeinden. Bisher hat es keine systematischen Studien zur Konversion nichtjüdischer Deutscher zum Judentum gegeben. Insofern beschreitet Barbara Steiner mit ihrer Promotionsschrift religionshistorisches und -soziologisches Neuland. Dafür führte sie biographisch-narrative Interviews mit Konvertiten zum Judentum und Rabbinern in Deutschland und Israel und wertete ebenso Archivmaterial und Blogs aus.

Wer Jude qua Konversion werden will, muss viel und mitunter einige Jahre lernen und sein Leben in allen Bereichen ändern. Trotzdem gibt es keine Garantie dafür, dann als Jude akzeptiert zu werden. Religionsgesetzlich sind geborene Juden nicht verpflichtet, Konvertiten als („wirkliche“) Juden anzuerkennen. Zudem mussten sich deutsche Konvertiten zum Judentum nach 1945 in eine vom Holocaust geprägte Gemeinschaft integrieren. Dieses religiöse und istorische Spannungsverhältnis macht die Betrachtung der Konversion nichtjüdischer Deutscher zum Judentum besonders interessant.

Daraus resultieren auch die Fragen der Untersuchung: Wer wollte trotz des damit verbundenen Aufwands Jude werden? Wie schafften Konvertiten es, sich in eine Gemeinschaft zu integrieren, die vom Holocaust traumatisiert ist und bis heute mit den Spätfolgen der Schoa zu kämpfen hat? Welche Lösungsstrategien entwickelten Konvertiten, um den aus den unterschiedlichen historischen Erfahrungen resultierenden Spannungen zu begegnen? Inwiefern erfanden sie sich und ihre Identität mit dem Übertritt zum Judentum neu? Wie gingen Konvertiten nach ihrem Übertritt damit um, dass sie als Wahljuden nicht von allen Gemeindemitgliedern und Rabbinern anerkannt wurden? Und wie integrierten die jüdischen Gemeinden konvertierte deutsche Nichtjuden, womöglich aus nationalsozialistisch belasteten Elternhäusern?

Barbara Steiners Studie zeigt, dass Konversionen zum Judentum in Deutschland nach 1945 wesentlich schwieriger gelangen als beispielweise in den USA, Frankreich, England oder in Israel. Für die Zeit nach 1945 lassen sich im Wesentlichen drei Motive ausmachen, mit denen nichtjüdische Deutschen konvertierten: Erstens waren es vor allem familiäre Gründe, wenn nichtjüdische Partnerinnen von Juden sowie Kinder jüdischer Väter zum Judentum übertraten.

Zweitens waren es theologische Motive, wenn christliche Nichtjuden im Judentum die überlegene Religion sahen. Und drittens spielte die Bewältigung individueller Lebens- und Sinnkrisen eine Rolle, bei der das Judentum letztlich eine Art Ersatzidentität liefern sollte. Besonders deutlich wurde das letzte Motiv im Zusammenhang mit dem Bemühen um individuelle Vergangenheitsbewältigung: Diese Interessenten an einem Übertritt zum Judentum strebten damit nach moralischer und personeller Wiedergutmachung sowie dem Ausstieg aus dem historisch belasteten Kontext, d.h. sie wollten sich moralisch entlasten.

Alle Konvertiten schätzten zum Zeitpunkt der Konversion das Judentum als handlungsorientierte Religion. Sie versprachen sich von dem Übertritt vor allem Orientierung und Geborgenheit. Rabbiner, aber auch „geborene“ Juden betrachteten die Motivation der Konvertiten häufig mit Vorsicht und verhaltener Skepsis. Diesem Akzeptanzproblem begegneten Konvertiten, indem sie zum einen versuchten, sich der historischen Erfahrung von Juden anzupassen. Damit handelten sie sich aber oft den Vorwurf ein, die jüdische Erfahrung der gebrochenen Geschichte zu instrumentalisieren. Zum anderen zeigten sich Konvertiten als die aktivsten Mitglieder in den lokalen jüdischen Gemeinden.

Gerade im liberalen Judentum in Deutschland ist laut der Studie von Barbara Steiner selbst unter den praktizierenden Rabbinern ein überdurchschnittlich hoher Anteil von Konvertiten anzutreffen. Dabei bringen diese häufig ein starkes Moment früherer christlicher Sozialisation mit ein, was die brisante Frage aufwirft, ob sich manche der liberalen jüdischen Gemeinden in Deutschland langfristig nicht auf einen spirituellen „Sonderweg“ begeben. Kann das wiederum als Teil eines „Normalisierungsprozesses“ zwischen Juden und Nichtjuden in einem bis heute vom Holocaust belasteten Land verstanden werden? Oder bedeutet es genau das Gegenteil: Wird von Konvertiten ein virtuelles, künstliches Judentum geschaffen, das so in anderen Ländern, wie den USA, Frankreich, England oder Israel nicht anzutreffen ist?

Das Phänomen der Konversion zum Judentum wird gerade unter jungen deutschen Nichtjuden wohl weiter aktuell bleiben. Die Konversion zum Judentum berührt damit zunehmend die Identität und das Selbstverständnis der jüdischen Gemeinden in Deutschland, die sich seit den 1990er Jahren in einer Phase des inneren Umbruchs und der Neuverortung befinden. Die Zuwanderung der 1990er Jahre hat die Gemeinden zahlenmäßig stabilisiert und zugleich ihre Zusammensetzung verändert. In den jüdischen Gemeinden größerer deutscher Städte findet man heute neben den „Alteingesessenen“ auch Osteuropäer, Israelis, amerikanische Juden und ebenso Konvertiten in größerer Zahl. Gemeinsam sind sie auf dem Weg, neue kollektive Identitäten zu entwickeln und sich auch gegenüber den jüdischen „Communities“ in anderen Regionen der Welt – wie beispielsweise in Nordamerika oder in Israel – zu positionieren. Hierzu forscht das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien n Potsdam (MMZ) auf interdisziplinärer Grundlage seit den 1990er Jahren, ausgehend von der jüdischen Immigration aus der früheren Sowjetunion, aber auch mit Blick auf gesamteuropäische Entwicklungen.

Die Promotionsarbeit von Frau Steiner steht somit im erweiterten Kontext von MMZ-Studien, die sich mit Gegenwart und Zukunft des modernen Judentums beschäftigen. Sie bietet Anschlussmöglichkeiten für weitere Nachwuchswissenschaftler, die sich beispielsweise mit einer Neubestimmung des Verhältnisses von Juden und Protestanten in Deutschland, aber auch mit dem Vergleich von Übertritts-Motiven junger Deutscher zum Judentum und zum Islam auseinandersetzen wollen.

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