1919 – 1945 Bedeutung als preußische Traditionsstadt

Das Foto zeigt die Garnisonkirche mit der Breiten Straße im Jahr 1912.
© Königlich-Preußische Messbildanstalt Berlin
Ein Blick auf die Garnisonkirche an der Breiten Straße im Jahr 1912. (Foto: Königlich-Preußische Messbildanstalt Berlin)

Die Novemberrevolution 1918 führte zur Abdankung von Kaiser Wilhelm II. und dem Ende des Ersten Weltkriegs. Mit dem Weggang der Kaiserfamilie ins niederländische Exil verlor Potsdam seine Funktion als preußische Residenzstadt, den prestigeträchtigen Namenszusatz behielt sie allerdings noch viele Jahre bei. Das preußische Kronvermögen wurde zunächst beschlagnahmt und nach dem „Hohenzollervergleich“ von 1926 in die neu gegründete „Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten“ überführt.

Nach wie vor fühlten sich viele Potsdamerinnen und Potsdamer politisch und kulturell der preußisch-monarchischen Herrschaft verbunden, was sich vor allem in den Wahlergebnissen widerspiegelte: In der Stadtverordnetenversammlung, die fortan im frei gewordenen Stadtschloss tagte, stellte die rechtskonservative Deutschnationale Volkspartei (DNVP) von 1919 bis zur nicht mehr freien Kommunalwahl Anfang 1933 die stärkste Fraktion. Auch bei den Reichstags- und preußischen Landtagswahlen erhielt die DNVP in Potsdam bis Anfang der 1930er Jahre immer deutlich die meisten Stimmen und lag damit weit über dem Reichsdurchschnitt. Im benachbarten und eher industriell geprägten Nowawes, welches 1924 das Stadtrecht verliehen bekam, konnten hingegen die Sozialdemokraten stets die meisten Stimmen auf sich vereinen.

Viele Potsdamerinnen und Potsdamer standen der Republik skeptisch gegenüber und lehnten die neue parlamentarische Demokratie ab. Nationalkonservative Kreise stilisierten nach dem Ende der Monarchie die ehemalige Residenzstadt und insbesondere die Garnisonkirche zum Erinnerungsort einer aus ihrer Sicht glorreichen preußisch-deutschen Militärtradition. Ab Mitte der 1920er Jahre wählten rechtskonservative und paramilitärische Verbände häufiger Potsdam als Ort nationalistischer Kundgebungen. Meist marschierten sie in der Tradition vergangener Militärparaden im Luftschiffhafen, auf dem Bassinplatz oder im Lustgarten auf und hielten in der Garnisonkirche Gedenkgottesdienste ab.

Auch als Garnisonstadt hatte Potsdam an Bedeutung verloren. Der Versailler Vertrag beschränkte die Friedensstärke der Reichswehr auf 100.000 Mann. Die in Potsdam stationierten Truppenteile schrumpften um mehr als ein Drittel ihres ursprünglichen Bestandes. Zahlreiche neue Militärdenkmäler und das neu errichtete Garnisonmuseum im Marstall erinnerten an vermeintlich erfolgreiche vergangene Zeiten.

Während sich die Stadtgesellschaft politisch eher rückwärts orientierte, verfolgte die Stadtverwaltung städtebaulich moderne Entwicklungspläne. Zahlreiche neue Wohngebiete entstanden in den 1920er und 1930er Jahren wie die Siedlung Stadtheide (Brandenburger Vorstadt), die Siedlung Eigenheim (Teltower Vorstand), die Siedlung Sandscholle (Nowawes/Babelsberg), die Gagfah-Siedlung (Babelsberg) oder die Siedlung am Schillerplatz als NS-Vorzeigeprojekt „Friedrichstadt“. Auf dem 1927 eröffneten Land- und Wassersportplatz am Luftschiffhafen hatte die Stadt zudem einen zentralen Gedenkort für die 1.664 im Ersten Weltkrieg gefallenen Potsdamer errichtet. Mit der 1932 eingeweihten Straßenbahnlinie vom Hauptbahnhof nach Rehbrücke waren nun auch die südlichen Stadtteile mit „der Elektrischen“ erreichbar.

Die Weltwirtschaftskrise 1929 traf die traditionelle Beamten- und Verwaltungsstadt Potsdam weniger stark wie andere Städte. Dennoch gewannen die Nationalsozialisten auch hier Anfang der 1930er Jahre kontinuierlich an Zustimmung. Die Gleichschaltung des Stadtparlaments erfolgte im Spätsommer 1933, den Rücktritt des deutschnationalen Oberbürgermeisters erzwangen die Nationalsozialisten aber erst Anfang 1934.

Aufgrund der symbolischen Bedeutung der ehemaligen kaiserlichen Residenzstadt bot sich die Garnisonkirche wie kein zweites Gebäude als Schauplatz für die feierliche Eröffnung des am 5. März 1933 nicht mehr frei gewählten Reichstags an. Der propagandistisch aufgeladene Staatsakt am 21. März 1933 ging als „Tag von Potsdam“ in die Geschichte ein und gilt als symbolische Inszenierung des Bündnisses zwischen altem Preußentum und junger nationalsozialistischer Bewegung. Zehntausende Menschen wollten vor Ort das Ereignis miterleben, welches der Rundfunk live ins ganze Land übertrug.

Den hohen Bekanntheitsgrad nutzend, konzentrierten sich die touristischen Kampagnen der Stadt schließlich ganz auf dieses Ereignis. Der Fremdenverkehrsverein lockte mit dem überzogenen Slogan „Die Geburtsstätte des Dritten Reiches“ täglich tausende Ausflügler von Berlin nach Potsdam. Das NS-Regime versuchte, mit der Ansiedlung einer NAPOLA-Schule, der Reichsführerschule des Arbeitsdienstes sowie Führerschulen von HJ und BDM die Stadt als Ort nationalsozialistischer Erziehung zu etablieren.

Mit der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935 entstanden an der Pappelallee neue Kasernen und Militärschulen. Die Potsdamer Garnison wuchs wieder auf 15.000 Militärangehörige. Die Eingemeindungen der Stadt Babelsberg (Nowawes) und der Orte Bergholz-Rehbrücke, Drewitz, Fahrland, Geltow, Golm, Grube, Krampnitz, Neu Fahrland, Sacrow sowie Nattwerder ließen Potsdam schließlich zur Großstadt werden. Die Stadtfläche  verdoppelte sich, die Einwohnerzahl stieg von 53.400 im Jahr 1918 auf über 135.000 zu Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939.

Potsdamer vor der geschändeten Synagoge am 10. November 1938
© Potsdam Museum, Hans Weber
Potsdamer vor der geschändeten Synagoge am 10. November 1938 (Foto: Potsdam Museum, Hans Weber)

Die ersten Bomben fielen auf Potsdam im Juni 1940, aber ab 1943 kam es vermehrt zu Fehl- oder Notabwürfen über der Stadt. Die zur Front eingezogenen Arbeiter wurden während des Krieges auch in Potsdam durch Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ersetzt. Im Jahr 1944 existierten im gesamten Stadtgebiet über 70 größere und kleinere Lager mit mehr als 18.000 Zwangsarbeitern aus 21 Nationen. Nach Jahren der Diskriminierung und Verfolgung wurden die noch verbliebenen Potsdamerinnen und Potsdamer jüdischen Glaubens 1943 in die Konzentrationslager deportiert und dort ermordet. Ihre Synagoge hatten die Nationalsozialisten bereits am 9. November 1938 geschändet, beschädigt und enteignet.

Auch in Potsdam formierte sich Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft. Mehr als 50 Männer und Frauen aus der Widerstandsgruppe des 20. Juli 1944 hatten in der Stadt gelebt und gewirkt. Allein 20 Offiziere, die während ihrer Laufbahn Mitglied des traditionsreichen Potsdamer Infanterieregiments 9 gewesen waren, darunter Henning von Tresckow und Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg, hatten sich dem Kreis um Helmuth James Graf von Moltke und Graf Schenk von Stauffenberg angeschlossen, der das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 durchführte.

Zerstörtes Palast-Hotel, Stadtschloss, Nikolaikirche und Altes Rathaus
© Zerstörtes Palast-Hotel, Stadtschloss, Nikolaikirche und Altes Rathaus
Zerstörtes Palast-Hotel, Stadtschloss, Nikolaikirche und Altes Rathaus. Foto Herbert Dörries (Stadtarchiv Potsdam)

Bis zum Bombenangriff in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1945 war die Stadt von größeren Kriegsschäden weitgehend verschont geblieben. In weniger als einer halben Stunde warfen die alliierten Flugverbände in dieser Nacht 1.716 Tonnen Bomben über Potsdam ab, ca. 1.600 Menschen starben. Die Sprengung der wichtigsten Havelbrücken durch deutsche Einheiten konnte die vorrückende sowjetische Rote Armee aber nicht mehr aufhalten, die Ende April 1945 in der Stadt einzog und damit den Krieg und die NS-Diktatur in Potsdam beendete.

Autor: Dr. Johannes Leicht (Geschichtslotsen)